Im Zug von Aarau nach Olten ist mir aufgefallen, wie viele erwachsene Leute in ihre Smartphones starren. Ruhig sind sie, wischen, tippen und lesen, wirken mal angespannt, amüsiert, ernst, verblüfft oder gar gereizt. Zwischendurch nehmen sie einen Anruf entgegen, regeln einen Termin, geben an in welchem Lokal sie für Samstag reserviert haben, weisen ihr Kind an, den Tisch schon mal zu decken und versichern, bald zuhause zu sein.
Es sind längst nicht mehr nur die Jugendlichen, die in Smartphones gucken. Alle tun es, es ist normal.
In Olten angekommen, bin ich ermutigt, an meiner Telefonblockade zu arbeiten. Noch immer leide ich an einem bizarren Verhalten aus meiner Kindheit. Damals versteckte ich mich, wenn das Telefon läutete und ich es hätte abnehmen sollen, weil niemand zuhause war. Ich redete mir dann ein, dass ich es nicht gehört habe.
Heute verhalte ich mich immer noch ähnlich. Wenn mich im Zug jemand anruft, ducke ich mich in eine Ecke, nuschle in den Hörer, entschuldige mich und versuche, der Sache möglichst schnell ein Ende zu setzen. Meine Mutter sagt jeweils: Il y a quelqu’un? – Ist jemand da? Klar, die ganze Welt lauscht gierig mit!
17.37 Uhr, Olten ab! Kaum im Zug, nehme ich all meinen Mut zusammen und rufe ich meine Mutter an. Sie ist erfreut und wir beginnen zu plaudern, auf französisch natürlich, meiner Muttersprache, Sprache meiner Mutter. Ich entspanne mich im Bewusstsein, dass es mich nur CHF 0.70 für eine Stunde kostet. Ich kann also locker bis nach Sursee reden.
Nach Zofingen fängt es an, richtig Spass zu machen. Wir lachen und tauschen Belanglosigkeiten aus. Ich erkläre ihr die Funktionsweise des iPads, insbesondere der Lupe. Wir rekapitulieren die nächsten Arzttermine und diskutieren die Rückenschmerzen beim Wäsche bügeln. Ich vergesse mich, ich bin total locker, ich erlebe eine ungeahnte Freiheit, meine Hemmungen fallen ab, ich bin geheilt!
Kurz vor Nebikon zieht im Abteil nebenan eine etwas streng anmutende Frau ihre Jacke an und tritt in den Gang. Sie schaut zu mir und sagt, cela peut casser les pieds. Ich freue mich über ihren Satz, über den Ausdruck, den ich schon lange nicht mehr gehört habe: Casse pieds, zu deutsch Nervensäge.
Ihr Blick und die Wiederholung von cela peut casser les pieds lassen mich erahnen, dass ich beleidigt oder beschimpft werde und ich mich nun dementsprechend verhalten sollte. Ich überlege blitzschnell und mir schiesst durch den Kopf, dass ich meiner Mutter laut sagen könnte une Nana m’emmerde, was soviel heisst wie: eine Tusse nervt!
Zu spät. Sie gleitet vom Zug in den Abend, ohne zu wissen, ob ihre Rüge mich getroffen hat.
Auf dem Foto sieht man übrigens richtige Casse pieds, Dinger, die die Füsse brechen!
Donnerstag, 06. Februar 2015
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