Heute morgen war ich in Zürich. Auf dem Rückweg habe ich einen Zwischenhalt gemacht und meinen Vater im Pflegeheim besucht. Er schlief friedlich auf einem elektrischen Stuhl, na ja, einem Stuhl, den man elektrisch in alle Lagen versetzen kann auf dem Gang der Station B2.
Ich wecke ihn sachte. Er strahlt mich an und ich biete ihm ein Stück Butterbrezel an. Er nimmt gerne einen Bissen, ich gehe ihm drei. Dann kommen die Nüsse an die Reihe. Er braucht Proteine, hat der Arzt gesagt. Vor dem Migrolino am Bahnhof durchfuhr es mich plötzlich: Er mochte doch immer Nüsse! Er mag sie auch jetzt, nach dreien hat er genug.
Schweigen. Ich komme nicht mehr draus, sagt er. Ich weiss, antworte ich. Schweigen. Ich frage ihn, ob er mit auf einen Spaziergang kommen möchte. Draussen scheint die Sonne. Früher wollte er uns Kinder bei solchem Wetter draussen sehen. Dass er dankend verneint, tut mir im Herzen weh.
Ich frage, was ich tun könne, damit er mitkommt. Ich könne nichts tun, lächelt er eher gequält, er wolle nicht. Ich habe die Autorität nicht, die er damals hatte. Ich lasse ihn in seinem Sessel ruhen.
Schweigen. Er möchte auf die Toilette und fragt, ob ich ihm den Weg zeigen könne. Ich helfe ihm aufstehen und er geht automatisch in die richtige Richtung. Er findet den Weg, ohne zu wissen, dass er ihn findet.
Danach möchte er auf sein Bett liegen, bittet mich, ihn zuzudecken und beginnt zu schlottern. Ich bin hilflos. Soll ich jemanden rufen? Ich umarme ihn, halte seine Hände und bekomme eine Wallung. Mein Vater schlottert, während meine Hormone mir einheizen.
Das sind Dimensionen! Ich in meiner Zeit, der Menopause, er in seiner Zeit, dem hohen Alter! Ich habe heiss und er kommt nicht mehr draus und sagt, dass er zu nichts mehr nütze ist.
Das stimmt nicht. Du bist mein lieber Vater und das ist und bleibt sehr viel für mich und meine Brüder, sage ich. Er lächelt, du bist meine liebe Tochter und schon habe ich feuchte Augen. Er sagt, ich soll nicht traurig sein.
Willst Du schlafen, sage ich und er antwortet offensichtlich erleichtert, dass dem so sei. Ich verabschiede mich mit einer Umarmung, decke ihn noch einmal gut zu, schaue zurück und schliesse, mit schon wieder feuchten Augen, die Türe.
Samstag, 01. November 2014
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