Sie haben gesagt, ich solle etwas schreiben, ich, die in der Regel schon beim Apéro fast hinüberwelke. Ich hätte mich sofort hinhocken können mit dem iPad und schreiben. Die Tische und Bänke waren jedoch nass. Es hatte geregnet und ausserdem tut man das nicht. Die kleine Sonykamera genügt, um mir selber eine Rolle und eine Aufgabe zu geben. Mit ihr kann ich sorglos im den Event herumschleichen, von hinten, von der Seite und in diesem Fall ging es sogar von oben. Die Knabberstangen waren so verteilt, dass ich mich laufend damit versorgen konnte.
Wenn alle am Tisch sitzen, weiss ich, dass bei mir die Phasen von Beklemmung und Wachheit sich abwechseln werden. Ich rede, diskutiere, mache Witze und plötzlich bin ich verzagt, höre nur noch das Gewirr der Stimmen und habe das Bedürfnis, zu fliehen. Ich kaue nicht richtig und bin nicht in der Lage, Speis und Trank zu geniessen.
Ich haue natürlich nicht ab, der Moment ist noch nicht gekommen. So atme ich durch und gebe mich der Zusammenhanglosigkeit meiner Wahrnehmungen.
Während ein junger Mann erzählt, wofür wir statt eines Geschenkes für Chrisis spenden sollen, fallen der Schwester der Jubilarin, die Augen zu. Sie verschläft die ganze Ansprache. Neben mir fällt eine witzige Bemerkung und ich lache, beginne zu plaudern, bis ich spüre, dass ich damit aufhören soll. Mir ist nicht einmal klar, wie genau ich das gemerkt habe. Ich wusste eh schon, wofür ich spenden würde, weil ich zuvor die Website der Organisation studiert hatte.
Helga dehnt und streckt sich und verkündet, dass sie sich selber so schön findet und sich sauwohl fühlt in ihrem Körper. Man ist ob dieser Verkündigung etwas verblüfft, glaubt ihr aber auf’s Wort. Die Frau sieht umwerfend aus. Seit einem Monat geht sie ins Training. Sie hat ein Probeabo gelöst.
Mona ist in zwei Jahren fünfzig, wir Chrisi, die es seit einigen Tagen ist. Sie kann nicht tanzen, wenn die Musik leise ist und zurzeit ist sie kaum hörbar für sie. Andere hüpfen jedoch schon fröhlich herum. Jemandem fällt auf, dass die meisten Tänzerinnen rot angezogen sind. Mona liebt es sehr laut. In ihrem Auto dreht sie nach der Arbeit den Pegel so hoch, dass sie am nächsten Morgen, wenn sie sich noch schlafgetrunken ans Steuer setzt, jeweils fast einen Herzstillstand hat, wenn der CD Player loslegt.
Mona lobt die Rosen in Helgas Garten, die im Gegensatz zu jenen, die auf dem Tisch liegen, himmlisch duften. Mir rutscht heraus, dass Katzen auch gut duften. Helga strahlt. Genau, sie stecke immer ihre Nase hinter die Ohren ihrer Katze und schnuppere. Wau, wir tun das auch, mein Liebster und ich, wir inhalieren täglich Katze! Helga stellt fest, dass sie dies noch nie jemandem erzählt hat. So was verbindet. Man ist gerührt!
Gina sitzt neben ihrem Liebsten, der erzählt, dass er nicht mehr so gut hörte. Meinem Liebsten geht es ebenso. Ich sehe es ihm sofort an, wenn er in einem Meer von Schallwellen zu ertrinken droht. Gina hat gute Ohren, verpasst jedoch andauernd die Pointen und muss nachfragen. Sie wechselt hierfür in den hiesigen Dialekt, was ihren Kolleginnen Mona und Helga nicht gefällt. Sie lieben es, wenn man hört, dass ihre Kollegin Bündnerin ist.
Gina, Helga und Mona gehen alle, zusammen mit Chrisi, ins Yoga zu Dora. Ich solle auch kommen. Es sei lustig. Vorher würden alle in der Garderobe einen Wochenrückblick machen, nachher gehe man ein Bier trinken. Dazwischen eben Yoga. Nein, keine schlimmen Verrenkungen, kein Bein hinter den Kopf legen, nichts dergleichen.
Einzig die Fazination Faszien sei ein Problem, das aber vorbeigehen würde. Man müsse es Dora aber noch lassen, sie habe schliesslich eine Weiterbildung dazu gemacht. Nach den Sommerferien, sei die damit gekommen: Faszien Yoga! Niemand wolle das machen! Sie tun es für Dora, erklären sie.
Helga mag die neuen Begriffe, die das Faszien Yoga mit sich bringt, nicht. Ihr gefällt es, wenn Dora von der Erde und dem Himmel spricht. Mona akzeptiert die Begriffe Erde und Himmel nur von Dora, sie möchte einfach Hata Yoga machen und nimmt die blumige Sprache als Nebeneffekt in Kauf. Überhaupt, was ist das, eine Faszie! Warum sollen die gedehnt werden?
Gina nimmt an der Diskussion nicht teil. Sie hört nicht, was geredet wird. Die Akustik in ihrer Ecke ist zu schlecht und ihr Liebster ist ihr diesbezüglich keine grosse Hilfe.
Mittlerweile ist die Schwester von Chrisi wieder voll in Fahrt! Leider habe ich den Moment ihres Erwachens verpasst!
Sonntag, 26. Oktober 2014, der Tag nach dem Fest für Chrisi
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