Werde ich mich mit diesem Beitrag in die Nesseln setzen? Vielleicht. Ob ich am 14. Juni streiken werde? – Nein, ich habe keinen Grund dazu. Demonstrieren? – Eher, dafür gibt es viele Gründe.
Ich entscheide mich dafür, meinen Protest zu individualisieren. Ich mache einfach weiter wie immer. Immer? Vor allem seit ich Chefin bin und Mitarbeitende anstelle, das heisst, seit 1985. Das Thema Lohn ist mir dabei ein Dorn im Auge, besonders die Reaktionen der Frauen auf die Lohnfrage.
Bei mir bewerben sich Männer und Frauen, die mindestens einen Fachhochschulabschluss haben: Psychologinnen, Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen, Jugendarbeiter, Lehrpersonen. Die Männer sind sich mehrheitlich im Klaren, was sie verdienen wollen, die Frauen oft nicht. Sie sind unvorbereitet.
Sie nennen zaghaft einen möglichen Monatslohn, beginnen zu rechnen, fragen, wie viel die Abzüge ausmachen. Sie sagen, ich hätte sicher ein Einstufungsmodell, an welches sie sich selbstverständlich anpassen würden. Sie erklären, der Lohn sei nicht so wichtig, dass sie einfach eine erfüllende Arbeit haben möchten. Zwei oder dreimal wurde mir geantwortet: Der Lohn ist mir nicht so wichtig, mein Mann verdient genug.
Nun, ich stelle lieber Mitarbeitende ein, die wissen was sie wollen, ihren Wert kennen und sich dafür einsetzen. Schliesslich müssen sie bei den Jobs, die ich anbiete, in der Öffentlichkeit ihre Frau, ihren Mann stehen. Weiter ist es schön, wenn die Arbeit einem erfüllt. Ich frage mich aber was geschieht, wenn der Job die gewünschte Erfüllung nicht liefern kann. Da gebe ich lieber einen anständigen Lohn.
Tun Sie das an einem Bewerbungsgespräch nie wieder
Diese Rückmeldung gebe ich seit Jahren allen, die in Lohnfragen diffus sind oder signalisieren, dass sie eigentlich nur eine Beschäftigung suchen. Ich ernte dabei stets grossen Dank, was mich meist eigenartig berührt.
Ich bin an den seltenen, ehrlichen Feedbacks im Berufsfeld gewachsen. Das Erste erhielt von meiner ersten Chefin, einer Klosterfrau und Heimleiterin.
Spiel am Bewerbungsgespräch nicht dauernd mit deinen Zapfenlocken, das wirkt infantil!
Dies riet sie mir, als ich mich an einem anderen Ort für das zweite Praktikum bewarb. Das war 1979, ich war gerade mal 20 Jahre alt. Diese Rückmeldung war prägend. In diesem Punkt war Sr. Theresia Grossmann ein Vorbild für mich.
Frauenstreik – hmm!
Ja, Frauen haben sicher viele gute Gründe für einen Streik – Männer auch. Wir alle kommen mit der Welt, wie wir sie uns geschaffen haben, mehr oder weniger gut zurecht. Lohngleichheit und vieles mehr sollte selbstverständlich sein.
Ich glaube, Frauen hätten mehr Wirkung, wenn sie sich in einer Selbstverständlichkeit so verhalten würden, als wenn alle Rechte, die ihnen zustehen, umgesetzt wären.
Klar habe ich ein Lohnband, ein Einstufungsmodell, an welchem ich mich orientiere, wenn ich jemanden einstelle. Orientieren heisst, vor und nachgeben können. Da habe ich als Chefin einen Spielraum und dieser wird durch den Wert, den sich eine Bewerberin selber zugesteht, beeinflusst.
Bei mir zahlt es sich aus, nicht nur davon auszugehen, das Lohngleichheit selbstverständlich ist, sondern sich auch so zu verhalten.
Probiert es bei den nächsten Lohnverhandlungen aus, Girls.
Ich werde also weder streiken noch demonstrieren am 14. Juni 2019. Ich werde einfach weitermachen und im Alltag mein Bestes für Frauen geben. Jetzt, wo ich doch schon seit zwei Monaten 60+ bin, heisst das in etwa
- unangenehme, quere Fragen stellen
- direkte, klare Feedbacks geben
- Neugier und unbändigen Hunger auf mehr wecken
- da sein, wenn ich gebraucht werde
- zu Frechheit und Zivilcourage animieren
- Lust am Scheitern fördern
- zeigen, wie man blöd dastehen kann und trotzdem respektiert wird
- rote Ballone steigen lassen für …..
Maria, Marlen, Katrin, Steffi, Mayra, Tanja, Margarita, Alisha, Nicole, Karin, Caro, Brigitte, Liliane, Lucy, Sabrina, Monika, Manuela, Anja, Lea, Danielle, Anna, Andrea, Lena, Ines, Astrid, Martina, Mila, Jasmin, Rita, Flo, Giuseppina, Noella, Valeria, Claudia, Erica, Susanne, Gabriela, Bea, Aster, Esther, Silvia, Lisa, Barbara, Sandra, Fabienne, Angy, Ladina, Ilona, Conny
…. voilà, ich bleibe morgen daheim und halte meine Absenz am Streik aus.
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