Dass ich je mit meinem Vater eine Stunde lang Jazz hören würde, hätte ich nie im Leben gedacht. Heute haben wir es getan, er und ich.
Es ist kurz nach 14.00 Uhr. Er schläft, als ich leise in sein Zimmer eintrete. Um ihn nicht zu wecken, versuche ich, den Ghettoblaster, den ich ihm mitgebracht habe, geräuschlos im Schrank zu verstauen. Er wacht auf und strahlt mich an.
Ich stelle das Gerät auf sein Bett und lege eine CD von Chris Barber ein. Er will gleich wissen, ob das Gerät von Batterien gespiesen wird. Ja, so ist es, erwidere ich.
Er entspannt sich, lächelt mich an. Die Musik ertönt. Weisst Du, woher ich das Stück kennen könnte, fragt er mich, es komme ihm bekannt vor. Vielleicht aus deiner Studienzeit in Paris, erwidere ich, vielleicht spielten sie ähnlichen Jazz in den Bars.
Er schliesst die Augen, ich lehne mit verschränkten Armen über dem Geländer seines Bettes und gehe davon aus, dass er einschlafen wird. Als die Gitarre ein Solo gibt, öffnet er die Augen und fragt, ob ich leiser gestellt hätte. Nein, habe ich nicht. Machst du bitte etwas lauter – ja, sicher!
Wir sind da, ganz im Hier und Jetzt, seine Vergangenheit ist für ihn in weiter Ferne, verschwommen, undeutlich, die Zukunft keine Frage. Ich geniesse den Moment. Wir reden über das, was wir hören, über die unterschiedlichen Instrumente, die spielen.
Alle Solos sind ihm zu leise. Wenn ein Stück aufhört, öffnet er die Augen, wenn das Nächste beginnt, lächelt er. Hie und da bittet er mich um eines der Prussiens, die meine Mutter ihm gebracht hat.
Als Chris Barber verstummt, lege ich Ben Webster ein. Eine Pflegerin kommt und möchte, dass er aufsteht. Ja, wir könnten spazieren gehen, in die Sonne, mit dem Rollstuhl. Er hat keine Lust.
Man müsse ihn immer mit etwas Nachdruck motivieren, an Aktivitäten und Spaziergängen teilzunehmen. Ich bemühe mich, mit Nachdruck zu motivieren, ohne Erfolg. Schlussendlich versuche ich, ihn zu verführen: Tu es für mich! Er schaut mir direkt in die Augen und erwidert trocken, das sei Erpressung. Innerlich lache ich auf. So dement ist er doch nicht.
Wir wenden uns wieder der Musik zu. Eine Stunde Jazz hören mit meinem Vater!
Freitag, 13. März 2015
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