Der Sessel, der ein Fauteuil ist
Der Sessel meiner Mutter ist ein Fauteuil Louis Philippe. Nicht die kostbarste Variante aber immerhin etwas Fürstliches. Das weiss ich, seit ich ihn nach Menznau zu Kurmann Innendekoration gebracht habe. Wisst ihr, wo Menznau liegt, liebe Leser und Leserinnen? Im Luzerner Hinterland ist das. Falls ihr einen Sessel habt, den ihr renovieren wollt, lohnt sich eine Reise nach Menznau voll und ganz. Die Arbeit von Martin und Manuela ist solides Handwerk und: Das Hinterland ist eine schöne Gegend.
Der Fauteuil im Rauch und Geruch der Männer
Ich kenne den Sessel, der ein Fauteuil ist, seit meiner Kindheit. Er stand in einer Gruppe weiterer Sessel in der Männerstube bei meinen Grosseltern in Villnachern. Alle Sessel waren mit demselben blassgrünen, gemusterten Stoff überzogen. Die Männerstube stank nach Brisagostumpen. Auf dem Pult meines Grossvaters hatte es eine Fotografie einer Tigerkatze, in der Vitrine daneben gebundene Bücher. Es hatte auch Korbstühle um einen Tisch, auf welchem Schach gespielt wurde. Nach den Sonntagsessen stiegen die Männer die Treppe hoch in das Männerzimmer. Ich blieb unten bei den Frauen und half die Küche fertig machen, wie man so schön sagt. Ich mochte das Männerzimmer nicht. Der Geruch stiess mich ab. Der Raum war schlecht gelüftet.
Der Fauteuil verlässt das Männerzimmer
Ich weiss nicht, wann der Fauteuil nach Brugg zu meinen Eltern gezogen ist. Wahrscheinlich Ende der 80-iger Jahre, als die Grossmutter starb. Sie hatte ihn, nachdem der Grossvater verstorben war, in ihr Schlafzimmer gestellt. Meine Mutter fand ihn, den Fauteuil Louis Philippe, einfach bequem. Er sei sehr gut für ihren Rücken und so begleitete er sie sogar ins Pflegeheim. Sie setzte sich dort jedoch kaum mehr drauf. Er stand einfach am Fusse ihres Bettes. Die Zeiten hatten sich irgendwie geändert für sie. Selbst Greyerzer, Galakäsli und Geranien verloren damals ihren Sinn in ihrem Leben.
Ich und der Fauteuil meiner Mutter
Lange beachtete ich den Sessel, der ein Fauteuil ist, nicht. Mon Fauteuil, nannte ihn meine Mutter, die französisch sprach, zärtlich. Ein paar mal brachte sie mich dazu, ihn auszuprobieren. Ja, ja, er ist bequem und der Schemel dazu cool. Aber: Meine traumatisierte Nase erinnerte sich immer an den ungeliebten Geruch im Männerzimmer, wo ich mich als Mädchen so unwohl gefühlt hatte. Brisagorauch, eingesperrte Fürze, verdampfter Mundgeruch und, wie gesagt: Schlecht bis gar nicht gelüftet!
Die Rettung – trotz Nasentrauma
Als meine Mutter starb und wir das Zimmer im Pflegeheim räumten, nahm ich den Sessel, so steht es in meinem Tagebuch, einfach mal mit nach Hause. Meine Brüder wollten ihn nicht. So stand er dann ab dem 21. Juli 2017 in meinem Zimmer – immer noch blassgrün, abgewetzt, voll mehr oder weniger unsichtbarem Staub aus der Vergangenheit und diffusem Geruch.
Aber ich muss es zugeben, er ist bequem und bei Rückenschmerzen könnte er tatsächlich eine Unterstützung sein. Das war seine Rettung. Ich beschloss, ihn renovieren zu lassen. Man wird ja nicht jünger und meine Mutter hat ihn sehr geschätzt, den Louis Philippe.
Die Verwandlung des Fauteuils
Nach viel Recherche, surfen und nachfragen, fuhren wir, Fredu und ich am 19. Januar 2019 mit dem Fauteuil ins Hinterland zu Martin und Manuela, Kurmann Innendekoration.
Es war, wie soll ich sagen, irgendwie bezaubernd, eine Welt für sich, Handwerk und wunderbare Gerüche aus vergangen Zeiten, schöne Materialien und freundliche Menschen. Wir entschieden uns dafür, Louis Philipp traditionell restaurieren zu lassen.
Wir suchten den Stoff aus und vereinbarten mit Martin und Manuela, dass sie uns anrufen, wenn der Fauteuil „ausgepackt“ ist.
Besuch in der Werkstatt
Im März war es soweit. Wir fuhren mit den Velos nach Menznau. Wir fanden den Fauteuil bis auf das Skelett ausgezogen vor. Martin erklärte uns, wie der Stuhl neu aufgebaut wird und und zeigte uns die unterschiedlichen Materialien in seiner richtig schönen, interessanten Werkstatt voller Schätze.
Der Fauteuil meiner Mutter ist jetzt mein Fauteuil
Am 05. April 2019 war es dann soweit. Mein Fauteuil Louis Philippe wartete im Entrée neu eingekleidet auf uns. Ein Bijou! Wunderschön und mit einem neuen, angenehmen Duft versehen – strahlend, rot, gestreift.
Ich schaue ihn gerne an. Zurzeit ist er der ideale Ukulele-Fauteuil, einen Fuss auf dem Boden, den anderen auf dem Schemel. Ich lese darin, schaue Filme auf dem iPad und freue mich darüber, dass ich ihn noch nicht wegen Rückenschmerzen brauche. Manchmal sitze ich einfach und schaue aus dem Fenster.
Louis Philippe, der Fauteuil meiner Mutter und Grosseltern ist auch online, als Bild für Marianne weiss es vielleicht. Ich sitze gerne mit dem Mikrofon auf ihm und nehme Podcasts auf. Geht tipp topp denn …
Man sitzt gerade, versinkt nicht. Er gibt Halt und zwingt einem, Haltung zu bewahren. Altmodisch eben aber: Gut für den Rücken!
P.S.
Smo, unser schwarzer Kater mit der weissen Fliege, darf nicht drauf. Er hat es noch nie gewagt, so frech und kühn er auch sonst ist!
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