Ich habe mich heute aufgerafft und bin nordisch auf den Tannberg gewalkt. Ich kam zügig voran. Es war nicht zu heiss, der Regen, der Stunden später niederging, war jedoch schon spürbar.
Die Strecke kenne ich gut. Sie beginnt an meiner Haustüre und führt nach etwa 70 Minuten zu derselben zurück. Heute ging die Reise jedoch mühelos weiter und zwar via Nase.
Es begann damit, dass ich hinter einer Scheune einen Bührer Traktor entdeckte. Wie immer ziehen mich diese grünen, abblätternden, melancholisch mit Glubschaugen vor sich hinträumenden Maschinen magisch an. Unweigerlich beginne ich zu schnuppern. Sobald ich die Witterung aufgenommen habe, der typische Bührer Traktor Duft mir in die Nase steigt, beginnt meine Reise.
Ich bin in Jouxtens-Mézery bei meinen Grosseltern. Gegen Abend klettere ich mit meinen drei Brüdern auf die Sitze über den grossen Rädern. Wir werden mit Kalberstricken angebunden. Ich trage ein rosarotes Kleid mit kleinen Blümchen. Wenn ich später herunterklettern werde, wird etwas abgeblätterte Farbe an meinen Oberschenkeln kleben bleiben.
Der Grossvater setzt sich auf den Fahrersitz. Er wippt auf und ab. Ich rieche ihn, ich rieche den Traktor, die Welt ist in Ordnung. Er dreht den Schlüssel und drückt auf den schwarzen Knopf. Ich höre wie der Motor mühsam anspringt, der Traktor ruckelt, es ist etwas unheimlich, ich halte mich fest, es geht los. Wenn der Motor wärmer wird, riecht er noch mehr nach Traktor. In der Käserei, in der wir die Milch, die wir geladen haben, abgeben werden, wird man mich abküssen, mich, die herzige kleine Tochter von Andrée, die in die deutsche Schweiz geheiratet hat.
Während ich den Traktor mit meinem iPhone fotografierte, stieg eine weitere Erinnerung auf. Ich sitze, an die Holzwand der Remise gelehnt, am Boden. Die nackten Beine ausgestreckt auf Erde und trockenem Gras, die Füsse in blauen Socken und Sandalen. Es ist Mittag, die Grosseltern schlafen.
Der Traktor tickt, während der Motor abkühlt. Ich sehe ihn nicht. Er steht hinter mir in seinem Unterstand, wo ihn der Grossvater parkiert hat.
Die Sonne wärmt die Wand in meinem Rücken. Sie riecht nach Karbolineum. Ich höre das Brummen eines Doppeldeckers, der hoch oben im blauen Himmel vorbeifliegt. Eine Fliege surrt, ein Huhn gackert und ich nehme mir vor, später nachzusehen, ob sie ein Ei in die Futterkisten neben dem Bührer gelegt hat.
Eine Katze landet auf dem Bretterwagen weiter hinten, wo Futternäpfe für sie und ihre 15 Artgenossinnen bereitstehen. Sie kaut laut schmatzend an irgend etwas Zähem.
Ich fühle, wie ich langsam einschlafe. In der Ferne summt ein Rasenmäher. Traum und Wirklichkeit vermischen sich. Eine Ameise krabbelt über mein Knie, die Tricolorkatze spaziert versonnen um die Ecke, entdeckt mich und rennt im Zickzack davon. Sie ist ungezähmt. Es ist uns Geschwistern nie gelungen, uns mit diesen Katzen vertraut zu machen. Sie lassen sich nur vom Grossvater streicheln.
Ich greife nach meinen Walkingstöcken und mache mich auf den Heimweg. Gerüche brauchen die Gegenstände, an denen sie haften. Werden die Dinge nicht mehr gebraucht, verschwinden auch die Gerüche und mit ihnen die Erinnerungen, die sie hervorrufen.
Pfingstmontag, 25. Mai 2015
Liebe Marianne – Ich erinnere mich noch gut: Als die Bührer-Traktoren kamen, brachten sie viel Fortschritt für die Schweizer Landwirtschaft. Doch seit mehr als 40 Jahren werden leider keine neuen Bührer-Traktoren mehr ¬hergestellt. Ich bin nach wie vor ein grosser Fan dieses schweizer Qualitätprodukts und habe in den letzten 20 Jahren drei Bührer Traktoren mit viel Eigenleistung, Herzblut und professioneller Hilfe der Firma Bührer in Hinwil restauriert. Aber eben – solche Traktoren zu erwerben wird schwierig. Auf Internetseiten wie z.B. https://trovas.ch/?title=bührer findet man am ehesten noch Bührer-Traktoren. Ersatzteile werden übrigens nach wie vor hergestellt. Original. In Hinwil. Die Firma ist also immer noch aktiv.