Ich weiss nicht mehr, wann er damit aufgehört hat zu ticken. Habe ich ihn mitgenommen, als ich mit 18 von Zuhause ausgezogen bin? Wahrscheinlich, sonst wäre er jetzt nicht bei mir. Er muss als blinder Passagier alle meine Umzüge mitgemacht haben, bis ich dann endlich im Hafen der Ehe eingelaufen bin und geankert habe.
Er ist es
Ich wusste nicht einmal, dass ich ihn noch hatte, bis Fredu sagte: Das ist wohl Deiner! Ja, das ist Meiner und wie, der hat mich während meiner ganzen Schulzeit geweckt. Miststück? Nein, nein, ein wunderbares Stück. Echt vintage. Oh, wie doch die Zeit vergeht und früher alles besser, schöner und mechanischer war.
Tante Paulette
Man habe in den 50-iger, 60-iger Jahren solche gebaut, meint Fredu. Könnte hinhauen, denn ich habe ihn, im zarten Alter von etwa 6 Jahren, von meiner Tante Paulette bekommen. Tante Paulette fuhr damals einen roten Mini – im Minirock. Sie trug die Haare als Chignon – hoch aufgesteckt. Der Wecker war kaputt, als sie ihn mir gab. Sie hatte gerade vor meinen Augen ihr Zimmer aufgeräumt – faszinierend. Ich hatte ihn dann wieder zum Leben erweckt – magisch. Ich spielte mit ihm herum, beschwor ihn und plötzlich: tick, tack, lebte er wieder und blieb bei mir.
Alfred der Zweite
Als Fredu ihn fand, in meiner grünen Werkzeugkiste, von der ich auch nichts mehr wusste, tickte er nicht mehr – der Wecker, nicht Fredu. Bevor ich Hand an ihn legte, um ihn auf zu ziehen – nein, nicht Fredu – warnte er, Fredu: Stopp, nichts tun, gib ihn zuerst Alfred, damit er ihn sich anschauen kann.
Alfred, das ist mein Schwiegervater – genauer: Alfred der Zweite, ich habe den Dritten, Fredu eben oder Bigi, wie ihn viele von früher her kennen. Alfred der Zweite ist der Sohn von Alfred dem Ersten selig und er kann alles flicken, insbesondre Uhren in allen Grössen und Formen. Das weiss und nutzt die ganze Verwandt- und Bekanntschaft.
Er ist Feinmechaniker. Er ist die Ruhe in Person. Er ist bald 93 Jahre alt und mit einem roten Flyer Minivelo unterwegs. Er hat eine schöne, wohlriechende Metallwerkstatt bei uns und er hat ein grosses Lager an Teilen und Stücken, Dinge, die andere weggeworfen haben. Im Gegensatz zu irren Sammelwütigen, die nur horten, braucht er immer wieder etwas aus seinem Lager, um Altes neu zu machen, Kaputtes wieder in Gang zu bringen. Mein Wecker, zum Beispiel, hat ein neues Rädchen erhalten. So kann ich den Alarmzeiger wieder richten, was nicht unbedeutend ist. Alfred hat den Wecker untersucht, gereinigt, geölt und eben das neue Teilchen dran gemacht.
Das Pubertier schlägt zu
Er hat festgestellt, dass der Knopf, der weiland den Weckmechansimus unterbrach, nicht mehr funktioniert. Im Gehäuse drinnen ist eine Achse abgebrochen.
Hast du mal etwa im Alter rund 14 Jahren etwas stark draufgehauen, fragte mich Alfred der Zweite trocken, mit einem fast unsichtbarem Lächeln.
Tja, das weiss ich nicht mehr, könnte sein, damals war ich ein Pubertier – gefährlich, unberechenbar. Blödsinn, ich war lieb und scheu, ziemlich harmlos und vergriff mich nicht an Material. Die Gefährlichkeit und das freche Maul kamen später – mechanische Gegenstände misshandle ich bis heute nicht.
Gedanken zum Wecker
Der Wecker ist ein Brücke zu meiner Vergangenheit. Sein Ticken ist mir so vertraut und ich staune: Heute mag ich es nicht, wenn Uhren aufsässig ticken, damals war es einfach so, gehörte dazu, es gab nichts anderes. Der Wecker stand auf meinem Nachttischchen und tat, was er tun musste: Ticken, die Zeit anzeigen und läuten.
Du musst ihn jeden Tag aufziehen – hä, das hatte ich ebenfalls vergessen. Jeden Tag! Ist ja irre, sonst stellt er einfach ab. Ich habe das wohl damals getan, alle haben es mit ihren Weckern getan und man hat kein Wort darüber verloren. Das Läutwerk musste auch täglich aufgezogen werden, sonst, na ja, war man eben zu spät, wie heute auch aber heute programmiert man das Ganze.
Ich gab also damals meinem Wecker viel Zuwendung, hatte ihn oft in den Händen und nachts leuchteten die Ziffern grün und der Abstellknopf des Alarms auch. Alles leuchtet in den heutigen Nächten auch noch, vielleicht etwas schwächer. Das ist doch gut so.
Ich werde ihn nicht auf mein Nachttischchen stellen. Sollte ich? Würde sich mein Leben ändern, wenn ticken wieder ganz normal zum Alltag gehören würde? Könnte ich die Uhr zurückdrehen?
Der Wecker hat seinen Geruch noch, das Metall duftet nach Metall, nach Wecker. Ich liebe das. Gerüche sind so schnelllebig und auf die Gegenstände angewiesen, an denen sie haften.
So tönt er
So sieht er von vorne aus
So heisst er
Er heisst Peter, mein Wecker, ein Peter Wecker, wie mein Vater, der hiess auch Peter. Das hat mir immer gefallen. Er hat drei Sterne und ist verkratzt und mein Vater, Peter, ist gestorben.
Das macht er mit mir
Mein Wecker, der die Stunden meiner Kindheit und Jugendzeit gezählt hat, damals war er zeitgemäss, heute steht er für die Vergänglichkeit, die Sehnsucht nach etwas, das es vielleicht so, wie ich es erinnere, gar nie gab. Das ist sehr wahrscheinlich, mir aber völlig egal. Ich liebe dieses süsse, verträumte Gefühl, diesen Stich oder Schmerz in der Brust, jedoch nichts Bitteres und das ist gut so.
Mehr als geflickt
Danke, Alfred der Zweite und Schwiegervater. Du hast mehr gemacht, als einfach meinen alten Wecker geflickt.
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