Ob es wirklich das erste Mal ist, dass ich meiner Mutter sage, so könne sie nicht mit mir reden und umgehen, weiss ich nicht. Es fühlt sich jedenfalls so an. Der Anruf war heftig und sie hat den Hörer nach kurzer Vorwarnung aufgelegt. Unmittelbar danach ging es mir richtig gut. Jetzt, zwei Stunden später, stelle fest, dass sich kein schlechtes Gewissen einstellt. Das wird der Grund für mein Wohlbefinden sein, nehme ich an. Das ist doch irgendwie einleuchtend!
Ich habe ihr meine Grenzen unmissverständlich aufgezeigt. Laut, klar und auf französisch, ihrer Muttersprache, habe ich ihr gesagt, was für mich inakzeptabel ist. Die Wörter sind mir förmlich zugeflogen. Hätte ich es vorbereiten müssen, wäre es ein Knorz gewesen, die richtigen Begriffe zusammen zu stellen.
Keine Ahnung, wie lange ich schon sorgfältig, emphatisch, verständnisvoll und mit Humor versuche, sie in ihrer schwierigen Lage zu unterstützen. Es könnten fünf, zehn, dreissig oder fünfundfünfzig Jahre sein. Die Grenzen verwischen sich. Erinnerung ist immer eine Rekonstruktion einer vergangenen Wirklichkeit. Erinnerung entsteht in meinem Kopf, sie wird von mir gestaltet. Darum ist es mir Wurst, wie lange dieses Beziehungsmuster schon besteht.
Heute morgen hatten zwei erwachsene Frauen eine Auseinandersetzung am Telefon. Eine Frau war ich, die andere war meine Mutter!
Ich habe ihr meine Grenzen aufgezeigt und ich bin immer noch die, die ich bin: sorgfältig, emphatisch, verständnisvoll und mit einer rechten Portion Humor versehen. Einzig das schlechte Gewissen fällt weg. Das fühlt sich saumässig gut an, es belebt, anstatt zu lähmen.
Leave a Reply