Es gibt ihn noch, den klassischen Sonntagsausflug der Familie! Er hat weitergelebt, von mir unbemerkt. Er hat nicht einmal ein Schattendasein gefristet, nein. Ich war einfach nie mehr dabei und darum hat er für mich aufgehört zu existieren.
Bis am letzten Sonntag war für mich der Sonntagsausflug „en famille“ eine melancholische Erinnerung: Kniesocken, von der Grossmutter gestrickt, gesprenkelt mit Gummiband. Die Pullis der Brüder aus derselben Wolle, in grün. Lackschuhe, Blazer, dunkelblau, eine Literflasche Pepita – der Papagei auf der Etikette, eine grosse Portion Pommesfrites für alle. Beim Spazieren auf der Strasse bleiben, die Sonntagskleider nicht verdrecken. Erwachsene, die reden, reden, reden. Die Mutter mit der Tante, der Vater mit dem Onkel!
Diamanthochzeit, 60 Jahre verheiratet! Am letzten Sonntag feierten wir dieses Ereignis mit unseren Eltern. Wir besuchten zwei jener Orte, die wir besuchen, wenn wir einen Familienanlass in der Region Brugg feiern: Wir, das sind meine Brüder, ich und unsere Anhänge. Die Orte sind die Habsburg, für das Mittagessen und die Linde von Linn für die Seele.
Zu Beginn, auf der Habsburg, war ich mit dem Ausladen der Dekoration und der Rollatoren beschäftigt. Ich achtete kaum auf die Dinge, die mich umgaben. Selbst die Tatsache, dass ich nur mit Mühe eine Parklücke fand, rüttelte mich nicht auf.
Erst als unser Autokonvoi nach dem Mittagessen zur Linde von Linn aufbrach, erkannte ich mit Schrecken, dass ich mittendrin und ein Teil davon war: Ich karre an einem Sonntag, blauer Himmel, Sonnenschein, mit dem Auto durch die Gegend, ich, zusammen mit allen anderen, die das auch tun!
Verschämt parkierte ich meinen Wagen am Feldrand in eine Lücke zwischen den vielen Wagen der anderen. Ich kann nicht sagen, dass ich cool war, als ich ausstieg. Man schien mir jedoch meine innere Zerrissenheit nicht anzusehen: Ich will das nicht sein, ich finde es schrecklich und so bieder, dass es fast weh tut: ein Sonntagsauflug mit dem Auto, die ganze Familie! Ich möchte herausschreien, dass ich das letzte Mal mit dem Velo hier war, von Böttstein her kommend auf dem Weg zur Staffelegg!
Ich stellte fest: Die Erwachsenen plaudern immer noch paarweise und gendergetrennt miteinander. Wie gehabt langweilen sich die Halbwüchsigen demonstrativ, während die jüngeren Kinder ausgelassen spielen – ohne sich schmutzig zu machen. Neu ist, dass Grosseltern einen Rollator vor sich hin schieben. Zwei Kinder spielten mit einem davon, ausgelassen und von Hunden umtänzelt. Die dazugehörende Grossmutter war nicht in Sicht.
Ich fotografierte die Leute, die Linde, die Autos und gesellte mich dann zu meiner Familie; nicht ohne verstohlen den uralten Baum zu streicheln und zu küssen – wie immer eben. Ich liebe diese besondere Linde.
Der Artikel in im Dezember 2015 in Fokus Linn, Seite 29, erschienen.
Donnerstag, 22. Oktober 2014
mariannesteiner.com
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