Kürzlich waren wir bei Ida und Hu zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Der Kuchen war ein Berliner. Er wurde in einem Teller von Villeroy & Boch serviert – Wildrose. Fredu und ich schauten uns an. Der Berliner, der Teller – beide lösen Erinnerungen und Emotionen aus.
Der Berliner
1994 fuhren wir leidenschaftlich Rennrad. Auf einer Tour hatte ich einen Hungerast – in Othmarsingen. Ich stürzte mich in dortige Bäckerei. Gierig und hirnlos kaufte ich mir einen Berliner – er war in Aktion – und einen halben Liter Milch. Berliner verschlungen, mit der kalten Milch gespült und wieder ab auf das Rennrad.
Fredu voraus, ich dicht hinter ihm. Bis: Irre Bauchschmerzen. Eine Kolik, meine Erste und bis zum heutigen Tag Letzte.
Und Fredu: Der hatte sich an die Fersen einer rassigen Rennradfahrerin geheftet und dachte wohl, dass seine Alte hinter ihm sei. War sie eben nicht. Sie lag auf einer Bank am Strassenrand und litt elendiglich.
Ich weiss nicht, ob Fredu von der Rennfahrerin abgehängt wurde. Jedenfalls vermisste er mich nach einiger Zeit und fuhr zurück. Ein Kaffee in der nächsten Beiz löste dann den Klumpen in meinem Bauch innert weniger Minuten.
Was geblieben ist
Ich weiss, was eine Kolik ist und ich nehme mich vor Berlinern in acht, es sei denn sie werden auf einem Wildrose Teller von Villeroy-Boch serviert. Weil …
Wildrose von Villeroy-Buch, das Geschirr meiner Mutter
Mitte der 1970iger Jahre wollte meine Mutter endlich ein eigenes Sonntagsgeschirr. Eines, welches sich von jenem ihrer Schwiegermutter unterscheidete: Wildrose von Villeroy & Boch – voilà. Des églantines, zu deutsch Heckenrose, Hagenbutte, wilde Rose – sie liebte diese Blumen über alles – ich auch.
Ich war anfangs Pubertät und mit meiner eigenen Revolution beschäftigt. Darum liess mich das Geschirr damals eher kalt. Erst heute begreife ich, dass es für sie ein Befreiungsschlag war – ihre späte Revolution.
Sie liebte ihr Geschirr. Sonntags wurde es aufgetischt. Ihre vier Pubertiere – ich und meine drei Brüder – und ihr Liebster, unser Vater, assen daraus, manchmal auch ihre Schwiegermutter.
Die Wildrose wird zum letzten mal aufgetischt
2017, Jahre später und einige Monate vor ihrem Tod: Meine Mutter wird zuhause von der Spitex betreut. Sie weiss, dass eine der Frauen, Frieda, Geburtstag hat. Es ist jene, die für sie kocht. Sie tischt zwei Gedecke Wildrose von Villeroy-Boch auf und wartet.
Als das Essen zubereitet ist, lädt sie Frieda zu Tische ein. Frieda lehnt ab, sie darf nicht mit den Kundinnen essen.
Als meine Mutter mir davon erzählt, ist sie sehr traurig. Sie versteht nicht, was da passiert ist. Mir bricht es fast das Herz und es fehlen mir die Worte. Soll ich ihr erklären, dass Frieda einfach professionell gehandelt hat? Selbst jetzt, wo ich schreibe, bekomme ich feuchte Augen.
Wildrose von Villeroy-Boch 2023
Danielle liebt die Wildrose auch. Sie ist das jüngste Grosskind meiner Eltern. Sie hat das Geschirr mit in ihre WG genommen, nachdem meine Mutter gestorben ist.
Mais, mais, quelle horreur!
… hätte meine Mutter vielleicht gesagt. Aber, es kommt besser. Danielle erzählte mir kürzlich, dass das Geschirr mit Ehrfurcht und Sorgfalt benutzt wird. Es sei noch kein Stück kaputt gegangen.
Kaffee und Kuchen
Wir waren von Ida und Hu zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Der Kuchen war ein Berliner. Er wurde in einem Teller von Villeroy & Boch serviert – Wildrose.
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